ÜBER DAS EVENT
ÜBER DAS EVENT
Onetz - Elfen und Zwerge zelten im Steinwald

Katrin Pasieka-Zapf
Thu Aug 27 2020 14:43:00 GMT+0000 (Coordinated Universal Time)
Die Oberpfalz ist neun Tage lang eine magische Mittelalterwelt. Beim Larp (Live Action Roleplay) lernen die Teilnehmer die heilenden Kräfte der Natur, Fremdsprachen und ein spannendes Hobby kennen.
„Alle Lanzen antreten!“, schreit ein bärtiger Mann mit weiß-roter Gewandung. Auf dem Kopf trägt er eine rote Stoffhaube, über den Schultern ein silberglänzendes Kettenhemd. „Alle Lanzen antreten“, ruft er erneut in die Lichtung. Aus allen Ecken und Zelten, von der Feuerstelle und aus dem Wald kommen Menschen angelaufen und reihen sich vor ihm auf.
Was hier vor sich geht, spielt sich an einem heißen Tag im August, im Jahr 2020, auf dem Larp-Zeltlager in Wäldern, einem Ortsteil von Erbendorf (Kreis Tirschenreuth), ab. Die Abkürzung Larp stammt aus dem Englischen und bedeutet „Live Action Role Playing“, was übersetzt „Liverollenspiel“ bedeutet. Die Spieler schlüpfen in die Haut einer fiktiven, historischen Figur. Inmitten des Steinwalds zelten über 80 Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf einem ehemaligen Sportplatz. Was zunächst wenig spektakulär klingt, verwandelt sich bei genauerem Hinsehen in eine fantastische Mittelalterwelt, die im Spiel Wissen zu Pflanzen, Erste Hilfe und Handwerk vermittelt.
Der bärtige Mann heißt Bruno Wissenz. Er ist Vorstand des Vereins Ellodan Creative Works (ECW), mit Sitz in Forchheim, der bereits seit zehn Jahren Larp-Events organisiert. „Unser Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche durch die Aufgaben im Spiel viel lernen, ohne es direkt zu merken“, erklärt er. Zu Beginn des Lagers erfahren die Teilnehmer, in welcher Fantasiewelt sie sich befinden, und welche Aufgaben es in den kommenden Tagen zu lösen gilt.
Vor Corona gab es in Deutschland jährlich über 600 Larp-Veranstaltungen mit bis zu 10 000 Teilnehmern. Mit aufwendigen Bauten, Dekoration und Technikeffekten verwandelt sich der Veranstaltungsort in eine magische Welt. Dort müssen Abenteuer bestritten und Rätsel gelöst werden. Der Deutsche Liverollenspiel Verband (DLRV) schätzt die Zahl der aktiven Spieler auf 40 000 Personen aller Alters- und Gesellschaftsgruppen.
Warmwasser durch Sonnenkraft
Und so beginnt der Tag für Zwerge, Elfen, Waldläufer und Krieger bereits um sieben Uhr morgens. Der Weckdienst schreitet zu den Zelten, die am Waldrand aufgeschlagen wurden. In der Mitte der Lichtung steht ein offenes, rundes Zelt mit einer Feuerstelle. „Das ist der zentrale Treffpunkt“, erklärt Wissenz. Hier kommen die „Hastati“ zusammen, um von den Magiern oder Kriegern zu lernen. Als Hastati werden im Lager des ECW alle Teilnehmer genannt, die zum ersten Mal dabei sind. Mit dem Wort bezeichneten die alten Römer einst die jüngsten und unerfahrensten Soldaten. Am Abend lässt man den Tag Revue passieren, isst und singt zusammen.
Warmes Wasser ist keine Zauberei
Bevor beim Frühstück Semmeln mit Nuss-Nougat-Creme bestrichen werden, steht Morgensport auf dem Programm. Schokolade im Mittelalter? Fast die gesamte Zeit befinden sich die Teilnehmer in einer Fantasywelt, wie man sie aus „Herr der Ringe“ oder „Game of Thrones“ kennt. Allerdings gibt es auch Momente, in welchen das magische Lagerleben unterbrochen wird. Das nennt man „outtime“ – also außerhalb der Spielzeit. Wenn zu Beginn des Lagers die Regeln erklärt werden oder im schlimmsten Fall jemand verletzt wird, wird das Spiel unterbrochen. „Sobald jemand outtime ruft, hören alle Spieler auf zu spielen und warten auf weitere Anweisungen“, erklärt Wissenz. Da es nicht darum geht, die Vergangenheit historisch korrekt zu imitieren, tragen manche eine Getränkeflasche statt einem altertümlichen Trinkschlauch bei sich – auch Brillen sind erlaubt.
Nach dem Waldlauf müssen die Teilnehmer nicht verschwitzt am Frühstückstisch sitzen. Duschen – sogar mit warmem Wasser – ist in einer Kabine aus Holzbrettern möglich. Für warmes Wasser sorgt nicht Zauberei, sondern schwarze Duschbeutel, die in die Sonne gelegt werden und sich so erhitzen.
Hygienekonzept findet Nachahmer
Auf der Lichtung tritt ein Mädchen mit einer grauen Tunika hervor. Auf dem Kopf trägt sie ein dunkelgraues Barett, über den Schultern liegt ein kakifarbener Kragen mit ihrem Namen darauf. „Die Lanze ist vollständig“, ruft sie Bruno und der Lagerleitung zu. Beim täglichen Apell haben die „Lanzenführer“ Meldung zu machen. „Durch diese Art des Durchzählens wissen wir schnell, ob alle da sind oder ob es Probleme gibt“, erklärt Wissenz. Auch hat die Lagerleitung hier die Möglichkeit weitere Anweisungen zu geben. „Seht nach euren Zelten und sichert sie, ein Unwetter naht von Norden“ befiehlt der Quartiermeister. Während der Zeit im Lager sind die Teilnehmer in „Lanzen“ eingeteilt. In dieser festen Gruppe wird gemeinsam gegessen und in einem Zelt geschlafen. Dass das in Coronazeiten möglich ist, verdankt der ECW einem ausführlichen Hygienekonzept. „Wir haben in unserem Team jemanden, der Katastrophen-Management studiert hat“, erklärt Wissenz. So konnte nach der aktuellen bayerischen Gesetzeslage ein Konzept erarbeitet werden, welches vom Stadtjugendring Erlangen übernommen wurde.
Schwerter aus Schaumstoff
Keine Minute zu früh sind die Zelte für das bevorstehenden Gewitter präpariert. Dicke Regentropfen prasseln herab und verschaffen an diesem heißen Augusttag Abkühlung. Das Zelt der Handwerker und Waffenschmiede ist an diesem Nachmittag besonders gut besucht. Mit Gartenschläuchen und Rohrisolierungen werden Schilde aus Holz so bearbeitet, dass sie später im Spiel niemandem verletzen. „Einige arbeiten hier zum ersten Mal mit der Bohrmaschine“, berichtet Wissenz. Für die Optik werden die Schilde mit einem Stoff überzogen und bemalt.
Nicht alle Teile der Verkleidung werden selbst hergestellt. Täuschend echt aussehende Schwerter aus Schaumstoff und Gummi gibt es für die Larp-Szene zu kaufen. Gekämpft wird in Wäldern auch. „Der Umgang mit der Waffe ist keinesfalls gewaltverherrlichend. Nichts, was wir hier machen, hat etwas mit moderner Kriegsführung zu tun“, betont Wissenz. Die Kampfhandlungen auf dem Event dienen dem Eintauchen in die Fantasiewelt. Ähnlich wie beim Judo oder Fechten soll das Bewusstsein für die eigene Stärke und der achtsame Umgang damit gefördert werden.
Kampf auch gegen rechts
Ein Herzensanliegen des Vereins ist die Arbeit gegen Rechtsextremismus. „Auf den Events hat fremdenfeindliches und extremistisches Gedankengut keinen Platz“, sagt Wissenz. Im Rollenspiel haben wir die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche spielerisch zu sensibilisieren.“ In der Fantasiewelt leben verschiedene Völker, Wesen und Menschen zusammen und akzeptieren die Rituale und Lebensweisen der anderen.
Sprachurlaub im Mittelalter
Aus einem anderen Zelt sind Gitarrenklänge und Gesang zu hören. Elfen mit spitzen Ohren und langen Gewändern singen vom fremden Welten und magischen Wesen – auf Englisch. „Die hochgewachsenen Elfen sprechen eine andere Sprache als die Zwerge“, erklärt Bruno Wissenz. Wer sich mit ihnen unterhält, trainiert so in den Ferien seine Englischkenntnisse.
Wenn sich die Zeit im Fantasy-Zeltlager dem Ende neigt und die Zelte abgebrochen werden, steht für die Hastati die Abschlussprüfung an. Das erste Ausbildungsjahr ist damit abgeschlossen. Über vier Jahre kann man sich beim ECW in diesem Hobby ausbilden lassen. Danach ist auch das Mitwirken im Organisationsteam möglich.